Leinehochwasser anno 2000


Das Hochwasser an sich sah vor elf Jahren nicht wesentlich anders aus als heute. Der Hintergrund hingegen hat sich völlig verändert. Die Bäume, die hier noch so schön das Ufer säumen, wurden 2004 fast alle gefällt. Seit 2007 wird der Bereich zwischen Leine und Eisenbahnstraße mit gesichtslosen und überhaupt ästhetisch außerhalb jeglicher Diskussion angesiedelten „Stadthäusern“ zugebaut.

Von der Wäscherei Schneeweiß, später Steritex, ist heute nur noch der Turm übrig. Er wurde vollständig entkernt und zu einem Wohnturm umgebaut.

seine Pezeh-Dinoheit erinnert sich

Beim Aufräumen fällt ihm ein Buch in die Hand: “Datenbank-Entwicklung mit dBase III plus”, ein Grundlagen-Handbuch von 1987. Ein seltsamer Moment der Rührung steigt auf. Auf seinem ersten PC, damals einem 286er mit 12 Megahertz, 1 Megabyte Ram und 20 Megabyte-Festplatte, lernte er neben Word 3 und Quattro Pro (Tabellenkalkulation) auch dBase, ein sehr simples, aber extrem lange lauffähiges, ja theoretisch noch immer nutzbares Programm, dessen Daten man charmanterweise auch zum Beispiel im Norton Commander durchblättern und lesen konnte.
Der Norton-Commander, den der eine oder andere vielleicht noch aufgrund seiner charakteristischen Blau-Grün-Farbgebung in Erinnerung hat, sah auch auf dem bernsteinfarbenen Hercules-Monitor schon schick aus und würde noch heute jedes Rennen mit dem Windows-Explorer gewinnen.
Mit dem Buch lernte er, wie man eine relationale Datenbank aufbaut, Redundanzen vermeidet (die man heute an anderer Stelle gern wieder einbaut, als Backup), wie man Schlüsselfelder vorgibt, um Standardisierung statt Chaos durch Vielfalt zu erreichen – und vieles mehr, was weitgehend bis heute Gültigkeit hat und was einem als Blogger mit WordPress (z.B. Tags!) noch immer wichtig ist.
Mit einer nur noch mühsam übersehbaren Anzahl an Betriebssystemen, Datenbankprogrammen und Programmiersprachen hat er sich in den letzten 20 Jahren vertraut gemacht, aber auch hier ist es so, daß man die, mit denen man sein erstes Mal erlebte, nicht vergißt.

Gedenktag

Neunter November. Zwanzig Jahre ist es also nun her. Das historische Ereignis, bei dem die meisten Mitglieder meiner Generation wissen, was sie an dem Tag gemacht haben. Ich kann mich nicht so explizit dran erinnern. Ähnlich wie Herr Küppersbusch habe ich diesen Tag wohl verpennt. Wie auch die folgenden.
All diese Aufregung damals. Mir war das höchst suspekt. Das Wort „Wiedervereinigung“ allein schon konnte ich nicht aussprechen, ohne übel Sodbrennen zu bekommen. Es war einfach zu sehr von den Rechten und anderen reaktionären Kräften besetzt. Und von diesem Herrn Kohl natürlich. Und Genschman. Also indiskutabel.
1989
Was paradox war, weil wir Gorbi und Schewardnadse auf der andern Seite wirklich cool und sympathisch fanden.
Zugleich verharrte ich – nicht nur durch gewisse Durststrecken der eigenen Biographie – in so einem seltsamen Zustand der Lähmung. Ich wollte es nicht wahrhaben. Vielleicht. Und selbst wenn, was ging es mich an! Damals. Ich kannte keinen Bürger der DDR persönlich, hatte seit 1972 lediglich auf der Transitstrecke nach Berlin unfreiwillige Blicke in dieses immer graue und verwahrlost wirkende Land geworfen und lebte eigentlich mit der Vorstellung, daß die bewohnbare Welt etwa 20 km südöstlich von Göttingen aufhöre, ganz gut. Im Zonenrandgebiet zu wohnen hatte Charme. Es gab Strukturförderung, was zugleich bedeutete, daß es eigentlich keine Struktur gab, keine großen Wirtschaftsbetriebe, kaum durchreisenden Verkehr, wenig Aufsehen. Und daß hinter dem großen Zaun die Landkarte ausgegraut war, schaffte Behaglichkeit. Man mußte dort nicht weiterdenken.

Aus sicherer Entfernung und von hoher Warte den endlosen Trabbi-Schlangen zuzuschauen, die über den Grenzübergang Teistungen im Eichsfeld gen goldenen Westen tuckerten, um nach Abholung des Begrüßungsgeldes die Bananenbestände unserer Lebensmittelläden leerzukaufen, das war einfach nur surreal. Wie in einem abgedrehten Science-Fiction von Monty Python. Auch unsere erste Fahrt in den Nahen Osten, im geschlossenen PKW einreisend, mit mulmigem Gefühl den Reisepass den Grenzern entgegenhaltend, die gar nicht mehr stempelten, sondern nur noch durchwinkten. Winkten wie die Dorfbewohner im Eichsfeld, all die Kinder, die Girlanden über den Straßen („Willkommen Nachbarn!“), mitten im tiefsten und scheußlichsten Spätherbst. Zu Nieselregen (wie heute) und Braunkohlenheizungsausdünstungen. Als wir in Heiligenstadt ausstiegen und ein paar Schritte durch die graue Fußgängerzone machten, atmeten wir diese Gerüche ein, nahmen diese seltsame Stille wahr, diesen Stillstand in den Schaufenstern, der an Spielfilme aus der frühen Nachkriegszeit erinnerte, und fühlten uns buchstäblich wie nie zuvor im Leben. Seltsam berührt, angezogen von der Vorstellung, in eine Zeitmaschine geraten zu sei, und zugleich ratloser denn je. Es war ja total nett, daß die Bewohner der DDR uns als Nachbarn begrüßten. Aber was dann? Was sollte daraus werden?

Heute verspüre ich eine ähnlich Hemmung mich groß zu regen wie damals vor 20 Jahren.
Wie soll man sich auch äußern, wenn das kollektive Gedenken durch multimedialen Overflow in Bahnen gehypet wird, vor denen man sich sich erst mal nur in Sicherheit bringen will. Denke ich vielleicht, weil ich heute genauso wenig drin vorkomme wie 1989. Mit der Geschichte, die dort gemacht wurde und seitdem gemacht wird, wollte ich nie etwas zu tun haben. Sie ist nie meine geworden.
Oder doch?

Im Laufe der Zeit habe ich durch Freundschaften mit OstbewohnerInnen und durch Reisen einen anderen Zugang zu Deutschland und zum Osten errungen. Eine Entwicklung hin zu einem Zustand, den ich persönlich positiv nennen möchte.
Ich bin gelegentlich in Ostberlin gewesen, in Heiligenstadt, Mühlhausen, Erfurt, Gotha, Leipzig oder Dresden, auf Rügen oder im Spreewald. An einigen dieser Orte fingen persönliche Geschichten an, zu denen ich mir sofort Fortsetzungen wünschte.
Die Mauer in meinem Kopf ist nicht weg, so gar nicht, aber sie ist von einer Weltgrenze zu einer Brücke mutiert.

20 Jahre Tschernobyl

Dieser plötzliche Wind abends, Ostwind ausgerechnet. Dazu diese Wärme, die uns sehr unnatürlich vorkam. Wie wir uns beim abendlichen Spaziergang gruselten und versuchten, uns vor dem Wind zu schützen.
Dieser lähmende Schreck, als die Tagesschau berichtete, daß das Weidevieh nicht raus dürfe bzw. in den Stall zurück müsse.
Die tagelang unklare Nachrichtenlage. Wilde Gerüchte, wo welche Wolke gerade entlang ziehe. Rätselraten, ob der Regen gefährlich sei oder nicht.
Es ballte sich zu einem intensiven Weltuntergangsgefühl. Nicht erst, als endlich Bilder kamen vom havarierten Reaktor. Die Phantasie, die auf dieses Unglück offenbar bestens vorbereitet war, malte gar zu bunte Horrorszenarien.

Als ich im Arte-Themenabend letztes Wochenende die Bilder von den Liquidatoren sah, diesen bedauernswerten Menschen, die da am eigenen Leibe ausbaden mußten, was Atomindustrie und Sowjetpolitik gemeinsam verbrochen hatten, wurde mir auch deutlich, wieviel ich selbst verdrängt habe. Von diesen grausigen Ereignissen vor 20 Jahren und von der nach wie vor vollkommen aktuellen Bedrohung jetzt.
Allein, es nützt ja auch nichts, sich die Gefahr ständig vor Augen zu halten. Es nützt genauso wenig wie die Proteste der Anti-Atom-Bewegung oder das sogenannte Atomausstiegsprogramm der letzten Regierung.
Ich weiß noch, wie wir damals begannen Apfelbäumchen pflanzen zu wollen – im brav lutherschen Sinne. Mittlerweile haben wir einige gepflanzt und ich finde das nach wie vor sinnvoll.

In seinem Konsumblog fragt Ralph Segert übrigens nach Erinnerungen an die Zeit vor 20 Jahren…

Hier gibt es eine an die Nieren gehende Photoserie von Robert Knoth über nukleare Albträume.

Wikipedia über die Katastrophe von Tschernobyl.

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Spaziergang durch Linden


Wo heute Haushaltsgeräte verkauft werden, war früher der Fahrrad- und Spielsachenhändler meines uneingeschränkten Vertrauens: Walter Deschner in der Deisterstraße. Dort kaufte ich alles. Von der Bowdenzug-Verkleidung über den Gesundheitslenker bis zur 8 schüssigen super echt aussehenden Schreckschuß-Automatik.
Heute ist vom ganzen Gefühl, das dieser Stadtteil für mich als Kind auslöste, nichts mehr zu spüren. Ganze Häuserzeilen sind verschwunden, andere unkenntlich verändert. Und die Leute sind andere, wie ja auch ich selbst.

Eine Reise durch die Musik (Rückschau 2005 / 1)

Wenn Sie mal Lust haben, in der Musik Ihrer Jugend oder der Ihrer Eltern zu stöbern, dann gucken Sie mal hier. Unglaublich, was da alles zusammengetragen wurde.
Was da allein beim Betrachten der Plattencover für Erinnerungen aufkommen –
und ganz spezifisch so einige Künstler, die ich nie mochte und mir trotzdem bei Freunden anhören mußte. Dieser Widerwille, der sich da noch heute sofort meldet, wenn ich nur die Namen höre, zB Crosby, Stills, Nash & Young und jeder von denen einzeln, Joan Armatrading, Joan Baez, Stevie Wonder oder Bob Marley, überhaupt Reggae. Nee nee, das war nix für mich.
Ich begeisterte mich eher für Pink Floyd, die frühen Genesis, Supertramp, Led Zeppelin, Deep Purple und Uriah Heep, später auch für Mike Oldfield, Jean Michel Jarre und Tangerine Dream. Und Police, Camel, Roxy Music, Thin Lizzy, die Beatles, Simon & Garfunkel, Abba und Eloy – fand ich alle toll.

In den letzten Jahren habe ich Musik wieder ganz neu entdeckt. Dieses Jahr begann mit Juli, eine geile, aber sehr kurze Zeit. Nachdem ich das Album zweimal gehört hatte, ging es mir schon auf den Keks. Und dank solchen Ätz-Sendern wie ffn kriegt man das ganze Jahr diese Dinge so lang um die Ohren gehauen, bis man nur noch schreiend rausrennen möchte.
Nur bei Avril Lavigne ist ihnen das nicht gelungen. Die hat mich das ganze Jahr durch begleitet, vor allem together.
Und auch Depeche Mode machen sie mir nicht madig. Das laß ich einfach nicht zu.
Neu entdeckt habe ich dieses Jahr Nightwish. Kann ich nicht immer hören, aber ein paar Stücke, nicht nur Nemo, sind wirklich äußerst gut zu hören. Besonders gefreut habe ich mich, daß Garbage endlich eine neue Platte herausgebracht haben, auch wenn sie mir nicht auf Anhieb gefiel. Aber ich arbeite dran. Dauerhaft gut finde ich nach wie vor Radiohead (z.B: the bends!) und Smashing Pumpkins (vor allem: Adore).
Ausschau halten muß ich unbedingt mal nach stationary traveller von Camel, habe da Rezensionen zufällig entdeckt.
So, das war jetzt mal so ein par-force-Ritt quer durch. Ohne irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit. Und ohne daß ich mich der Mainstreamigkeit meines Geschmacks irgendwie schämen würde. Aber Hinweise, Tipps und CD-Geschenke aller Art werden jederzeit gern genommen :-)

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Räucherstäbchen

Was ja fast schon geeignet wäre, mich mit der Institution Whynachzmarkt zu versöhnen, das sind so ein, zwei Stände, an denen man so sinnvolles Zubehör wie Jade-Elephanten, Tisch-Nilpferde aus Alabaster, indische Tücher aus Baumwolle in allen möglichen wunderschönen Farben und Mustern und Räucherstäbchen kaufen kann.

Wie das da duftet!

Dieser Duft hat auf mich stets die Wirkung einer Zeitmaschine. Flugs befinde ich mich etwa im Jahre 1975 und stöbere in hübschen kleinen Sätzkästlein, die anmutige Teile meiner Jugend enthalten.

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Zonenblende

Die Idee eines Photoblogs zum deutsch-deutschen Thema nimmt Gestalt an.
Pünktlich zum Tag des Mauerfalls geht das Projekt ZonenBlen.de an den Start. Wir setzen auf euer reges Interesse und hoffen auf begeisterte Beteiligung.

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Wäscherei Schneeweiß 1997


Es gab 1997 noch einen Schornstein. Daß der gesprengt (?) wurde, ist mir dereinst leider völlig entgangen.
Und auch ein paar hundert Meter weiter südlich gab es einen Schornstein, direkt am Rosdorfer Weg. Auch davon fehlt heute jegliche Spur. Damals wurde die zweite (Not-)brücke neben der eigentlichen Leinebrücke des Rosdorfer Weges gerade in Betrieb genommen, zunächst für den Autoverkehr.

So verschwindet die Göttinger Industriekultur.

Gruß an die Vergangenheit

Gestern im Zug nach hause fiel mir plötzlich ein, was sich heute zum dreißigsten Mal jährt: wie Carsten mich zu einer Radtour von Hannover ans Steinhuder Meer einlud. Gemeinsam mit ein paar Menschen, von denen mich eine ganz besonders interessierte.
Es war ein milder Tag, nicht so sonnig wie heute, aber sehr angenehm. Zuerst fand ich das eine Schnapsidee, hatte eigentlich gar keine Lust, wollte lieber ausschlafen. Der Reformationstag war damals für Schüler noch Feiertag.
Aber ich gab mir einen Ruck und fuhr mit.

Der Tag ging als einer der besondersten in meine Geschichte ein, war für mich ein Ausbruch aus dem bis dahinnigen Leben, der Beginn von etwas wirklich Neuem und Wunderbarem.
Noch heute bin ich euch, die ihr dabei wart, innerlich sehr verbunden, auch wenn wir uns im tatsächlichen Leben seit zu vielen Jahren aus den Augen verloren haben.

Carsten, Katharina, Hannes und Bine, seid einmal ganz besonders gegrüßt. Von hier aus, da ich nicht wüßte, wie sonst.

Neues Photo-Projekt am Start

Gemeinsam mit Hildi und Toby starte ich in Kürze ein neues Photo-Projekt zum Thema „Wende“ oder „Wiedervereinigung“. In Form eines Blogs, überwiegend mit Photos, aber auch mit Geschichten, Anekdoten und Infos zu den Ereignissen, vor allem den persönlichen, soll ein kollektiver subjektiver Überblick entstehen. Das Konzept ist in Vorbereitung.
Gesucht werden MitautorInnen, die
– Photos aus der DDR um 1989/90 oder früher oder später zeigen möchten
– Photos aus dem Grenzgebiet der BRD oder von der Mauer zeigen möchten
– Photos zeigen möchten, die das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten (oder auch genau das gerade nicht) zeigen
– Lust haben, ihre persönlichen Erlebnisse im Zusammenhang mit der Maueröffnung zu schildern

Wer Material hat und Lust mitzumachen, ist herzlich eingeladen, sich hier per Kommentar oder per Mail zu melden. Wir würden uns sehr freuen, das Projekt auf ein paar Schultern mehr verteilen zu können.
Nur Mut!

Ein Brief von Ende 1989

Lieber Bruder!
Gerade eben sind wir von unserem allerersten Ausflug in das Land unserer Brüder und Schwestern zurückgekehrt. Seit Öffnung der Grenzen hatten wir das schon vor – und nun endlich hat es auch geklappt. Dabei war es alles andere als irgendwie schwierig. Der nächste Grenzübergang ist knapp 20 Kilometer von hier entfernt, und man fährt einfach durch. Zwar gab’s einen kleinen Stau – aber das kommt ja auch im funktionalen „Westen“
vor. Tja, und „drüben“ wurden wir noch überschwenglicher empfangen als DIE seinerzeit hier. In jedem Dorf standen Kinder an der Straße mit BRD-Fahne und winkten uns zu. Allein die Frage, wo die all diese Kinder
her nehmen, ist ja schon interessant.
Dann öttelten wir über Schlaglöcher und Katzenkopfpflaster nach Heiligenstadt, das man zunächst vor lauter Rauchschwaden kaum sehen konnte. Denn die heizen da drüben in der „DDR“ tatsächlich alle mit
Braunkohle – und entsprechend STINKTs !!! Das hätte ich mir vorher gar nicht so vorstellen können. Wie die das aushalten ohne permanenten Pseudokrupp und Keuchhustenanfälle, frage ich mich.
Aber es war total schön auch, irgendwie. Fast nur alte (und ziemlich vergammelte) Häuser, eine richtige kleine FUZO mit niedlichen Geschäften, in denen man wohl auch richtig einkaufen kann – vorwiegend Sachen, wie es sie bei uns gab, als wir noch ganz klein waren und mit der Oma in der Limmerstraße spazierengingen – falls Du Dich erinnern kannst. Mir kam diese Erinnerung jedenfalls sofort
— und wenn man das alles so sieht, weiß man spontan echt nicht, was man denen eigentlich wünscher soll. Denn einerseits ist klar, daß technischer Fortschritt auch in der DDR unbedingt einziehen muß, vor allem im Bereich Umweltschutz, das springt echt in’s Auge. Aber andererseits würde ich mir wünschen, daß der allgemeine Charakter erhalten bleibt, daß die ihre Städte jetzt nicht plattwalzen, um sie betonmäßig neu aus dem Boden zu stampfen.
Heiligenstadt zumindest hat einfach Atmosphäre, in einer Art, wie man’s hierzulande seit den Sechzigern nicht mehr findet…
Tja, und so enden die Achtziger also mit der großen „Mitteleuropäischen Revolution“, wie der FR-Leitartikler vom Mittwoch meinte. Die Bilder von Ceaucescu und seiner Alten hast Du ja wahrscheinlich auch gesehen: Ich
weiß nicht, ob’s daran lag, daß wir Rumänien als einziges Ostblockland auch mal besucht haben – es ging mir jedenfalls echt nahe, was da ablief.

Soviel zur Großwetterlage.

Großen Dank an den Bruder für diese Ausgrabung!

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Olfaktorie

Herr typ.o hat ATA gerochen. Dabei fällt mir ein: ich hörte gestern Abend beim Kücheaufräumen Jan Hammers last seven days und erinnerte mich Stück für Stück mehr, wie ich damals Freundinnen und Freunden wortreich und blumig diese Musik näherbringen wollte, indem ich schwärmte, vor allem das letzte Stück the seventh day sei wie ein musikalischer Orgasmus. In diese Erinnerung mischte sich auf einmal sehr deutlich der Geruch unserer WG-Wohnung, damals.
Und mit der Erinnerung an diesen sehr speziellen Duft und seine Untermalung mit Synthesizer-Klängen kamen noch mehr erinnerte Gefühle und so etwas wie plötzliche Einsicht, warum meine Schwärmereien wohl so hoffnungslos ins Leere liefen, damals. Diese Nüchternheit, plötzlich.

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Licht der Erinnerung

Manchmal, wenn ich im harten Gegenlicht fahre, egal ob am Lenker oder am Steuer, kommt so ein Erinnerungs-Flash aus Kindheitstagen. Eine Autofahrsituation mit meinem Vater und irgendwelchen Verwandten, wir auf dem Weg vom Deister nach Hannover oder umgekehrt, Situation eher knisternd, weil ich vermutlich quengelig – gar nicht unbedingt eine angenehme Erinnerung, aber eine intensive. Sie scheint das Tor zu tiefer liegenden Schichten zu bilden.
In Wahrnehmung dessen bin ich versucht, sie konkreter einzufangen, in meinem aktuellen Bewusstsein zu bebildern, in Worte zu fassen und zu werten. Allein das gelingt überhaupt nicht. Nie bekomme ich mehr zu fassen als den Eindruck eines besonderen Lichts, eher kühl als heimelig, eher fremdartig als vertraut, eher unangenehm als freundlich – und so anziehend.

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Ach wenn ich doch


damals nicht so blöd gewesen wäre!
Ausgerechnet 1989 meinte ich nicht photographieren zu sollen. Ich weiß nicht mehr genau warum, aber es waren ganz sicher Gründe, die dem Atem der Geschichte, welcher uns da so mächtig anwehte, nie standgehalten hätten. Wenn ich mir das denn mal so richtig klar gemacht hätte.
Mitte 1990 wurde mir das allmählich klar und ich begann, viel zu zaghaft und zu spärlich und zu sporadisch hin und wieder kleine Touren in den Osten zu machen und den Fortschritt der blühenden Landschaften auf Celluloid zu bannen.

Heute vor 15 Jahren

schüttelte ich noch den Kopf über die Ereignisse entlang der Mauer. Ich wollte das nicht wahrhaben, daß es die Ossis im Ernst alle nur nach Westen zu drängen schien. Nachts saß ich in meinem Taxi, als ein Rudel öttelnder Trabbis frech die Fußgängerzone durchquerte, uns Taxifahrer als einzige Ansprechpartner ausmachte und uns ganz ohne Umschweife fragte, wo es denn nu das Begrüßüngsgeld gäbe.
Gott, man war gerührt, irgendwie.
Aber auch peinlich berührt. Das irgendwie auch, ja.
Und in ganz eigenartiger Weise hilflos.
Da waren diese Leute, die dann sehr schnell erstmal ihren ollen Gebrauchtwagen drüben für Phantasiepreise verhökerten und zuhause damit prahlten. So eine Art Goldgräberstimmung: drüben gab’s was zu holen. Schnell hin, ne Scheibe abschneiden vom Kuchen.
Ich hätte das nicht fertig gebracht.
Übrigens hätte ich auch nie nimmer nich gedacht, daß in so aberwitziger Geschwindigkeit dieses Ausmaß an Geschichtsklitterung zu leisten wäre – wie der Herr Dokter Kohl es dann aber doch leistete. Gemeinsam mit seinem wendigen Architekten Genscher und dieser Horde von wildgewordenen Einheizfanatikern.

Wir unternahmen irgendwann in diesem Winter mit unserm R4 einmal eine Expedition nach drüben, durch Dörfer, deren Namen wir nicht kannten, obwohl wir nur knapp 30 km entfernt wohnten, konnten nicht fassen, in welchem baulichen Zustand sich Straßen und Häuser befanden, noch weniger aber, daß in den Dörfern alles mit Girlanden behängt war, auf denen Sätze wie “Herzlich willkommen, Nachbarn!” standen. Und überall winkende Menschen in einer Kulisse, die an Nachkriegsfilme erinnerte.
Im Hinterkopf hatten wir noch das nerfige Prozedere am Grenzübergang Marienborn oder Dreilinden, Transit Berlin und zurück – und mochten noch nicht recht glauben, daß es nicht irgendein böses Erwachen gäbe, daß jemand meinen abgelaufenen Pass bemängeln oder unsern Kofferraum durchsuchen wollen könnte.
In Heiligenstadt stiegen wir aus und liefen durch die Straßen. Es roch nach Trabbis und nach Braunkohle. Sehr fremdartig. Sehr faszinierend, auch die Farben, Schriften und was da geschrieben stand, was in den Schaufenstern zu sehen und was dort nicht zu sehen war.
Die Leute sprachen eine andere Sprache als wir.
Zum Abschluß fuhren wir auf einen Hügel, um uns von dort aus die Schlange vorm Grenzübergang Teistungen anzusehen. Einige Festkilometer Trabbis. Der Geruch ihrer Abgase hing meilenweit so schwer in der Luft, daß man ganz high davon wurde.

Reisen nach Frankreich

Nichtsahnend blättert man höchstens halb konzentriert in der Samstags-Taz, während drum rum das Kinder-Chaos tobt, versucht, das ordnende Eingreifen immer noch ein Minütchen hinauszuzögern, da stößt man auf einen, nein sogar zwei kleine Artikel über Frankreich, die Ardeche und die Cevennen auf der einen, den Haute Langedoc auf einer andernen Seite.
Man braucht sich gar nicht zu vertiefen, ein paar Stichworte genügen. Ortsnamen wie Alès oder Montpellier, Vallon Pont d’Arc oder Uzès – und schon ist man plötzlich mittendrin in der eigenen Vergangenheit.
1979 zum Beispiel: Rundreise mit einem damals 20 Jahre alten Bulli durch Bretagne, Atlantikküste und Provence. Dieses intensive Erleben von Süden, mediteranem Flair, Freiheit und Frankreich eben. Unvergleichlich, unvergesslich.
Damals lernte man liebend und völlig freiwillig eine Fremdsprache. By heart, wie die Anglophilen sagen. Ein Kosmos, in den ich gern jetzt tiefer und länger eintauchen würde, aber leider ist der kurze Moment der Besinnung auch schon wieder vorbei, Zähne putzen, Einkaufen, Aufräumen, Gartenarbeiten, Kinder auseinander zerren… – Samstag Vormittag. Das Leben ist kein Picknick.

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Erinnerungsträchtig

Erinnerung1
war eine Tour nach Hannover. Seit 25 Jahren wohne ich dort nicht mehr, deutlich mehr als mein halbes Leben. Und obwohl ich eigentlich regelmäßig dort hinfahre, aus unterschiedlichen Gründen, erzeugt diese Stadt noch immer (oder immer wieder) ein intensives Heimatgefühl.
Erinnerung2
Auf dieser Schaukel ereigneten sich vor fast genau 30 Jahren Dinge, an die ich mich immer noch erinnere, als sei es erst letzte Woche gewesen.
Manche Tage könnte ich von morgens bis abends mit Erinnerungsreisen verbringen, alles um mich herum vergessen und nur Vergangenes nachempfinden, beinahe nacherleben. Einmal reicht für vieles einfach nicht.