Berliner Morgenlauf

So hart wie in diesem Bett habe ich lange nicht geschlafen. In Einrichtung oder gar Komfort investiert das Hotel nicht. Das Gute daran ist, dass es sich nicht verändert, nicht schick saniert wird – und seinen Charme behält.
Fahles Licht scheint in das karg möblierte Zimmer, als mich heimkehrende Gäste, die laut palavernd den Flur entlang poltern, aufwecken. Ein Blick hinab in den Hof und hinauf zum Himmel: es regnet nicht. Mechanisch streife ich mir die Funktionsklamotten über, Schuhe an und die Laufuhr natürlich, das wichtigste Utensil.
Locker trabe ich ein paar Treppen hinab, durch eine schwere Eisentür und lange Flure nach draußen. Zwischen den Häusern hängt die Luft grau und feucht.

Entlang der Schlesischen Straße zieht sich eine endlose Autoschlange, unausgeschlafen wirkende Menschen hasten mir auf dem Trottoir entgegen. Mein Kopf findet es kalt, aber mit Mütze ist es zu warm.

Ich kann mich noch nicht entscheiden, wo ich lang laufen möchte. Zuerst überquere ich die Oberbaumbrücke, hüpfe an der Kreuzung zur Stralauer Allee nach links und rechts, weil die Ampel rot ist. Kaum auf der anderen Straßenseite fällt mir ein, dass ich ja gern an der Spree, am ehemaligen Osthafen entlang wollte. Also zurück über die heftig befahrene Kreuzung und eine Lücke in den Zäunen suchen, die das Ufer säumen. Warum ist da alles so abgesperrt? Ich dachte, das sei öffentlicher Grund.

Kaum habe ich die Spree erreicht, verstellt mir auch schon der nächste Zaun den Weg: ein privates Weihnachtsmarktgelände reicht hier bis ans Ufer. Mir bleibt nichts übrig als zur Straße zurück abzubiegen. Was für eine abweisende Gegend! Das hatte ich mir anders vorgestellt.

Über die Vorplätze der phantasiebefreiten Betonklötze von Medienfirmen, Hotels oder einem Limonadenhersteller geht es weiter nach Osten, bis ich wieder direkt ans Ufer kann, um dort endlich freien Blick zu haben. Dort kann ich entspannt laufen, sogar bis fast zur Elsenbrücke. Um da hinauf zu gelangen, gilt es erneut eine Kreuzung zu überqueren, die wegen einer unübersichtlichen Baustelle für Menschen zu Fuß kaum geeignet erscheint. Auf der gesamten Brücke nur brüllender Verkehr. Und hinter der Brücke. Weiter von Kreuzung zu Kreuzung.
Der Gestank von Dieseldunst, das Getöse der Motore – die Blechlawine. Falsche Zeit, falscher Ort.

Der Kilometer bis zum Damm der ehemaligen Görlitzer Bahn dehnt die physikalischen Gesetze deutlich über Gebühr. Mir ist nach Husten zumute. Und dann auf dem Damm: plötzlich Ruhe. Eine Oase der Entspannung. Auch später am Kanal fühlt es sich gut an. Der Untergrund ist weich, ein paar Enten schnattern, Hunde pinkeln in Büsche, Krähen bedienen sich an überquellenden Mülleimern. Die Dealer im Görlitzer Park stehen in Grüppchen beieinander. Ich frage mich, ob sie schon wieder oder immer noch dort stehen. Einer tritt hastig in die Pedale eines viel zu kleinen Fahrrads, um seinen Kollegen etwas lecker Duftendes vom Bäcker zu bringen. Ich begegne einem anderen Jogger, der kurz aufblickt.

Ich mag es, wie hier die Lebensformen aufeinander treffen, fühle mich angespannt geborgen, wohlig gegruselt und könnte die Wege unter den mickrigen Bäumen immer hin und her laufen. Mehr aber noch zieht es mich in die Straßen des Wrangel-Kiez, der gerade morgens von seinen Bewohnern bevölkert ist und nicht von Touristen. Als einer, der seit Jahrzehnten immer wieder dorthin reist, fühle ich mich verbunden mit diesem Viertel und seinen Menschen: zu jeder Zeit gern tauche ich ein in diese bekannte und freundliche Welt. Als sei sie meine.

Vorstadt-Abenteuer im Lockdown

Ich sitze am Fenster und starre – wie seit Monaten immer öfter – etwas dösig in den Garten. Alles wie immer. Naja fast. Letzte Woche haben da doch tatsächlich Gärtner die Hecke zum Nachbarn hin geschnitten. Gerade noch rechtzeitig Ende Februar. Danach ist das wegen Brutzeit der Vögel nicht mehr erlaubt. Zwei Männer mit schwerem Gerät haben da einige Stunden für Action und ordentlich Lärm gesorgt. Die Hecke ist jetzt richtig viel niedriger und schmaler. Bin mir immer noch nicht sicher, ob mir das gefällt.

Spannung mit Vögeln

Den Vögeln zuliebe habe ich in den Garten ein Vogelfuttersilo aufgehängt. An einem Metallstab. Darunter noch ein Wasserbecken aufgestellt. In meiner Freizeit kann ich nun beobachten, wie die Spatzen aus der Hecke da heran fliegen, sich ein Korn picken und wieder zurück flattern. Andere lauern schon in der Hecke, um es ihnen gleich zu tun. Sowohl vom Wohnzimmer als auch von der Küche aus habe ich ideale Beobachtungspositionen.

Von einem Busch auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens kommt jetzt im Wellenflug eine Kohlmeise, eine halbe Stunde später vom Dach im unteren Stichweg eine Taube, im Verlauf des Nachmittag aus der Tanne eine Elster und noch eine weitere war auch plötzlich da. Letzten Dienstag aber – mein Herz blieb echt einen Moment stehen, sitzt da plötzlich ein Star. Auf dem Rand des Futtersilos! Reglos scheinbar. Sitzt da einfach und scheint zu überlegen, ob diese Körner wohl schmecken, wie sie ihm bekommen und – dann fliegt er einfach wieder weg. Ohne nur probiert zu haben!

Weiter atmen, denke ich. Dachte ich. So schnell immer vorbei diese Momente. Dann passiert wieder stunden- nein tagelang – nichts. Der Stress hält sich in engen Grenzen. Man calmt ganz gut down.

Nachtleben

Neulich aber wache ich nachts von lautem Klopfen auf. Irgendwo draußen. Richtung erstmal undefinierbar. Sofort denke ich an Einbrecher in einem Nachbarhaus. Da wird ja bestimmt Frau M gleich zur Stelle sein um nach dem Rechten zu sehen, hoffe ich, noch gar nicht richtig wach. Es klopft weiter, ich richte mich auf im Bett und überlege, ob ich aus dem Fenster gucken sollte. Da plötzlich: aufgeregte Stimmen dazu. Die von Frau M meine ich deutlich heraus zu hören. Dieser unverwechselbare Tonfall! Ich muss jetzt aufstehen. Atemlos robbe ich ans Fenster. Halb hockend halb kniend drücke ich die Nase an die Scheibe, lasse den Blick schweifen. Es ist aber nichts zu erkennen. Einfach zu dunkel da draußen. Keine Bewegung. Und nun auch wieder Stille. Kein Blaulicht, keine Schüsse. Zu blöd!
Als nach einer Viertelstunde noch immer nichts zu hören oder sehen ist und mich das Kribbeln meiner eingeschlafenen Beine kirre macht, quäle ich mich in die Senkrechte, hüpfe solange, bis die Beine wieder wach sind, und steige zurück ins Bett. Wenn ich jetzt nur einschlafen könnte. Also ich, nicht die Beine! Aber denkste. Die Aufregung hält mich wach, bis der erste Lichtschimmer am Horizont graut.
Nur gut, dass meine wichtigste Verpflichtung für den folgenden Tag der Hundespaziergang am Nachmittag ist. Bis dahin bin ich soweit wieder auf dem Damm.

Ermittlungstätigkeit

Tage später muss ich ein Gespräch über die Hecke mit anhören. Nachbarin M zu Nachbarin P. Es klärt, dass in der fraglichen Nacht ein Marder offenbar die Kaninchen von Familie T lecker fand und sich mit ihnen zum Essen verabreden wollte. Die Kaninchen klopften vor lauter Aufregung mit ihren Füßchen auf den Käfigboden. Das war, wovon ich wach geworden war. Und die Nachbarinnen auch. Frau M war es dank ihrer Stimmgewalt gelungen den Marder in die Flucht zu schlagen. Nachträgliches Aufatmen. Allerseits gewissermaßen.

Während ich diese Informationen noch verarbeite (doch etwas viel auf einmal!), schießt unser Hund aus dem Wohnzimmer hinaus über die Treppe in den Garten runter und rast zum Zaun, wo gerade die possierlichen reinweißen Schoßhunde von Frau M angekommen sind und wild und in höchster Tonlage unseren Zaun und unseren Hund ankläffen. Eine Aufregung! Wenn jetzt der Zaun nicht wäre!

Zum Glück ist er aber da. Und auch die dichte Hecke. Man gut so.

Auf Beobachtungsposten

Ich brauche dringend etwas Ruhe. So viel ist hier schon lange nicht mehr passiert. Aus der Küche hole ich mir eine Tasse Salbeitee und erklimme damit das obere Stockwerk unseres Häuschens, wo ich mich ans dortige Fenster setze und zur anderen Seite rausgucke. Der Tee ist etwas zu heiß, so dass ich mir die Zunge leicht verbrenne. Leise fluche ich vor mich hin. Ich blicke in die umliegenden Gärten und konstatiere, dass sich dort nichts geändert hat. Alles wie immer. Das beruhigt mich allmählich.

Glauben Sie nur nicht, dass diese Ruhe angehalten hätte! Schon zwei Wochen später hat sich doch tatsächlich die ganze Familie T plötzlich auf ihrem Balkon eingefunden. In der lausigen Kälte! Stehen da am Geländer und machen – wer weiß was! Ich kann es nicht genau erkennen. Das haben sie jedenfalls noch nie gemacht. Ohne ersichtlichen Grund sind die da, wie es aussieht. Ich bin ganz aus dem Häuschen, hole schnell meinen Feldstecher aus dem Nachtschrank und unterziehe dieses Ereignis einer peniblen Untersuchung. Damit bin ich noch nicht ganz fertig, als sich das Geschehen auch schon wieder in Wohlgefallen auflöst. Die Ts sind im Haus verschwunden, der Balkon vakant. War es vielleicht doch nur eine Erscheinung?

Das Leben in unserem Stadtteil ist ja generell eher reizend, insofern nicht direkt Allergiker-geeignet. Trotzdem kann es schon passieren, dass bei sieben Spaziergängen mit dem Hund binnen drei Tagen einfach nichts passiert, was sich der eignen Wahrnehmung aufdrängen würde. Dienstags stehen schon mal gelbe Säcke an den Laternenpfählen, aber das ist dann auch schon das Highlight der Woche.

Der neueste Scheiß

Umso erstaunter und neugieriger werde ich, wie ich bemerke, dass der Audi von Fs einen Montag plötzlich entgegen der Fahrtrichtung geparkt ist! Ich glaube wohl! Und nicht nur das: der Opel von Zs zeigte ihm die kalte Schnauze – direkt von vorn. Das kann ja wohl nicht wahr sein!

Von dieser Ungeheuerlichkeit aufgestachelt, wage ich mich tiefer in den Garagenhof daneben, um festzustellen, dass vom Tor von Garage 73 ein neues Stückchen eierschalenfarbener Lack abgeplatzt ist und einer hübschen rostigen Delle zu mehr Aufmerksamkeit verhilft. Wie schön! denke ich unwillkürlich. Schnell die Kamera gezückt und ein feines Fotto für Instagram gemacht! OMG! This made my day. 😍

Dass die jüngere Tochter von Familie C jetzt auch einen Hund hat, der auf den Namen Early hört, ist dagegen ja schon fast nur Dorftratsch. Aber insofern doch wieder erwähnenswert, als mir Earlylein mitsamt Frauchen auf meinen einsamen Abendrunden nun schon einige Male begegnet ist – und wir dann ein Stück gemeinsamen Weges hatten. Was irgendwie nett ist.

Ach ja.

Das Filet wird verfüttert


Ein sogenanntes „Filet-Grundstück“ mitten in Göttingens Innenstadt, auf dem bis Ende der 90er das Göttinger Stadtbad stand und reger Nutzung nicht entbehrte. Zugunsten eines Spaßbades außerhalb der Stadt wurde es abgerissen, weil die notwendige Sanierung angeblich zu teuer gewesen wäre.
Seltsamerweise fand sich in den folgenden 10 Jahren niemand, der mit dem großen Grundstück in Traumlage etwas anfangen wollte. 2003 kam dann der damalige Oberbürgermeister Jürgen D. auf den genialen Gedanken, den von furchtbarer Parkplatznot gebeutelten Göttinger Autofahrern dieses Grundstück zwar nicht auf dem Silbertablett aber wenigs auf dem Schotterbett als Parkplatz zu servieren. Provisorisch natürlich nur und jederzeit auf Abruf, falls doch noch ein Investor mit Appetit auf Filet aufschlagen sollte…
Bekanntlich halten Provisorien ja am längsten. Dieses hier nun bald 8 Jahre. Aber nun ist auch Schluß. Im Frühjahr wird dichtgemacht und dann kommen die Filet-Verwerter und bauen 1 Wohn- und 1 Geschäftshaus. Immerhin kein fettes Shopping-Center! Um das ganze mal von der positiven Seite zu sehen.

Leinehochwasser anno 2000


Das Hochwasser an sich sah vor elf Jahren nicht wesentlich anders aus als heute. Der Hintergrund hingegen hat sich völlig verändert. Die Bäume, die hier noch so schön das Ufer säumen, wurden 2004 fast alle gefällt. Seit 2007 wird der Bereich zwischen Leine und Eisenbahnstraße mit gesichtslosen und überhaupt ästhetisch außerhalb jeglicher Diskussion angesiedelten „Stadthäusern“ zugebaut.

Von der Wäscherei Schneeweiß, später Steritex, ist heute nur noch der Turm übrig. Er wurde vollständig entkernt und zu einem Wohnturm umgebaut.

Berlin im August 2010

Die körperlichen Malaissen, insbesondere mein noch immer verknackstes ISG (Kreuz!) sind von Anfang an eine Hypothek. Auch verdauungsmäßig ist es nicht so einfach.
Aber das größere Problem ist, daß mir gefühlsmäßig der innige Draht zu Berlin irgendwie abhanden gekommen ist.
Diesmal bin ich in Friedrichshain im Gold Hotel am Wismarplatz, habe dort ein nettes kleines Zimmer im 5.OG mit schönem Blick auf ein riesiges ruhiges Hinterhof-Areal. Ich kann da mühelos ohne Stöpsel schlafen. Das Bett tut meinem Rücken gut.
Ich laufe auch einige Zeit am Ostkreuz rum, wo es sich seit März nicht groß verändert hat. Die Südbrücken-Relikte stehen noch genauso wie die alte Brücke überm Eingang Sonntagstraße. So gibt es tatsächlich immer noch alte Bildperspektiven und somit quasi Bezugspunkte. Auch auf Bahnsteig D gibt es noch einzelne Blickwinkel, die einen beinahe ignorieren lassen, was schon alles fehlt.
Aber es fehlt halt doch. Das unbeschwerte Rumflanieren auf dem alten Ringbahnsteig, auf A oder auch auf D und E, wo man aus jeder Perspektive immer so schön Leute photographieren konnte, das geht einfach nicht mehr.
Das Leute Photographieren ging aber auch sonst nicht. An der Warschauer Brücke habe ich quasi kein einziges Bild gemacht. Und in den Straßen von F’Hain oder Neukölln ist es mir auch nicht gelungen, meine Bilder mit Personal auszustatten. Mir fehlte der Mut und die entsprechende Verfassung.
Am Freitag Abend bin ich nach dem Hotel-Einchecken erst mal in der Sonntagstraße Pizza essen gegangen, dann im einsetzenden Nieselregen Spaziergang auf die Neue Kynaststraße neben das Ostkreuz, dann in den Kaskel-Kiez, wo es cool aussieht, über den guten alten Nöldner-Platz weiter noch in den Weitling-Kiez. Da scheint es im Dunkeln immer noch so auszusehen wie vor 12 Jahren. Was ich irgendwie sehr positiv finde. Das Wetter macht es aber leider so ungemütlich, daß ich von einem längeren Rundgang absehe. Während ich gerade eine sehr lauschig altmodisch spießige Eckkneipe photographiere, telefoniere ich ganz reizend mit Elisa, die von Klassenfahrt zurück ist. Das ist schön!
Mitten auf den schönen Bahnsteig des Nöldnerplatzes hat die DB einen protzigen und häßlichen Verkaufscontainer gestellt, der die Atmosphäre des Bahnhofs mehr oder weniger zerstört. Für sowas haben sie ja ein unüberbietbares Talent.
Dann zieht es mich irgendwie noch zur U1, um zur Kurfürstenstraße zu fahren. An der Warschauer Brücke kaufe ich mir ein Staropramen, zische es weg und versuche ein paar wartende Damen abzulichten, bin aber zu schisserig dabei. Das wird einfach gar nix.
In der U1 ist es nett, gibt wie immer wirklich viel zu sehen. Aber leider fährt sie nur bis Möckernbrücke, danach ist Ersatzverkehr. Und darauf hab ich keinen Bock. Also fahr ich einfach wieder zurück und latsche von der Warschauer durch die Partymeilen von F’Hain zum Hotel zurück. Bin sehr erstaunt, wie sich F’Hain verändert hat. Nicht nur, daß überall Partymeile ist, auch die Geschäfte! War die Warschauer Straße früher ein Sammelsurium von Ramschläden, die sicher oft von Russen betrieben wurden, so ist jetzt jeder dritte Laden ein Kiosk bzw Spätkauf, dazwischen schicke Läden und natürlich Internetcafés – wer immer sowas noch braucht…
In den Kneipen sitzen die Leute alle draußen. Entsprechend laut ist es in den Straßen, ganz besonders natürlich in der Simon-Dach-Straße, die ich seit 10 Jahren kenne, die damals die einzige Straße war, in der man ausgehen konnte. Heute ist sie dafür immer noch Hauptstraße und Mittelpunkt und offenbar Paradigma, da ähnliche Kiezwandlungen in anderen Stadtteilen mittlerweile danach benannt werden: Simondachisierung

Samstag
Der Frühstücksraum im Gold Hotel ist etwas zu klein. Von den Gästen bin ich der zweitjüngste. Es könnte etwas mehr Obst geben, ansonsten ist am Frühstück nichts auszusetzen. Für 5 Euro schon mal gar nicht!
Vormittags streife ich durch Friedrichshain und entdecke viele photographierenswerte Kleinigkeiten, fahre dann von Warschauer Straße über Ostkreuz nach Karlshorst, BBhf Rummelsburg und zurück und nochmal los nach Baumschulenweg, wo ich auch ein bißchen rumlaufe. Den Bahnhof renovieren sie tatsächlich sehr liebevoll, bauen viele Details der alten historisierenden Architektur wieder mit ein. Wird sicher mal richtig schön in ein paar Jahren…
Von dort dann mit der S-Bahn nach Hermannstraße und mit der U8 bis Boddinstraße. Ich suche die Flughafenstraße, um ein altes Photo von 1980 wiederholen zu können. An der U-Bahnstation scheine ich unmittelbar schon richtig zu sein. Die Kreuzung Flughafenstr/Hermannstr hat sich in ein paar Details in den 30 Jahren dann doch so verändert, daß ich sie eigentlich nicht wiedererkenne. Aber natürlich ist auch die Jahreszeit eine andere – und alles Zubehör, die Autos zum Beispiel und die Reklame an den Häusern… All diese Riesenwerbeflächen, man hat sich inzwischen so dran gewöhnt. 1980 gab es sowas einfach nicht.
Ich laufe dann noch paar Meter weiter runter bis in die Reuterstraße. Gefällt mir gut dort der Kiez. Etwas sehr rein türkisch geprägt zur Zeit, aber dadurch natürlich auch sehr lebendig.
Mit der U8 weiter zur Hermannstraße, dann S bis Südkreuz und von dort weiter nach Norden bis Wollankstraße, wo ich in die S1 bis Wittenau umsteige.
Mittagessen bei Hildi und seiner Familie. Sehr nett und lieb alle, entzückende Kinder.
Dann los mit Hildi in den Prenzlauer Berg. Von Bornholmer Straße laufen wir übern Schwedter Steg und druch die Kopenhagener Straße zum Lichtmal, wo wir einen leckeren Cappucino trinken. Weiter über Schönhauser und Eberswalder bis Mauerpark, isses aber nich so da, deshalb mit Tram und U2 zum Gleisdreieck, wo ich eigentlich gern auf „das Gelände“ würde. Es ist aber eigentlich schon zu dunkel dafür und ich finde den Einstieg auch nicht mehr. Deshalb weiter mit der U1 zum Görlitzer Bahnhof und die Oranienstraße rauf und runter. Lichter photographieren. Und blaue Stunde.
Dann wirklich gut essen im Shanti. Dabei wird mir allmählich sehr kalt. Und irgendwie ist es dann auch ganz schnell Mitternacht und wir gehen zurück zur U-Bahn. Ich bringe Hildi noch zum Kotti, fahre dann zur Warschauer und mit der S-Bahn zum Ostkreuz und streife noch durch die dunklen Straßen von F’Hain. Ist schließlich schon wieder mein letzter Abend in Berlin. Ich mag noch nicht ins Hotel. Aber so allein inmitten der Partygeräusche ist es dann doch nicht so richtig nett.

Sonntag
Das Frühstück ist definitiv unangenehm. Der Frühstücksraum ist proppenvoll und die Rentner heute irrsinnig laut. Man kann seine eigenen Gedanken nicht mehr verstehen. Vor allem so eine mit holländischem Akzent ratschende graue Tante hinter mir macht mich völlig kirre.
Ich beeile mich da wegzukommen, mache dann ein paar schön depressive Regenfotos an der Boxhagener Straße und fahre zum Ostbahnhof, mich von Teilen meines Gepäcks zu entledigen. Im Ostbahnhof haben sie angefangen den „Ost-Tunnel“ zu sanieren, wo die Gepäckaufbewahrung ist. So kann man dort schöne Umwege latschen.
Dann mit Bus zum Bethaniendamm, wo ich den Anschluß-Bus verpasse. Im Regen latsche also zu Fuß die endlose Köpenicker Straße entlang, weiter die Schlesische, dann am Heckmann-Ufer, über die Görlitzer-Eisenbahn-Brücke rüber nach Alt-Treptow, die Lohmühlenstraße bis zur Brücke nach Neukölln, das Maybach-Ufer weiter, in die Pannierstraße, über die Sonnenallee rüber bis zur Reuterstraße und diese bis zur Flughafenstraße, darauf weiter zum Columbiadamm und dann hinein in die Fontane Straße, Schillerpromenade, Selchower Straße und Mahlower Straße. Was für ein Kiez dort. Beeindruckt mich immer wieder!
Aber nach dieser endlosen Latschnummer (ca. 6 km) hab ich auch erstmal genug. Ich fahre mit U8 direkt zum Rosenthaler Platz, wo das neue Hotel zwischen Brunnenstraße und Weinbergsweg zumindest als Gebäude fertig ist. Damit hat dieser Platz natürlich sein Gesicht sehr deutlich verändert. Er ist nun verdammt modern. Oder sollte man sagen: beliebig? Er wird halt nur noch geprägt von Kommerz und Verkehr – nicht mehr vom Flair einer im Wandel befindlichen Mitte. Das zeichnet sich schon seit Jahren ab, klar. Aber schade ist es immer noch. Was wird wohl aus all den Hotelbetten werden, wenn Berlin mal nicht mehr Europäische Partyhauptstadt ist? Und die wird es ja vermutlich nicht mehr lange bleiben, wenn das Flair weiter so vernichtet wird wie in den letzten 10 Jahren.
Ich laufe den Weinbergsweg hinauf, kehre in der Kastanienallee bei einem Libanesen ein, esse dort wirklich äußerst lecker bei zu lauter Musik und werfe im Anschluß einen Blick in die Oderberger, die nun saniert werden soll. Der Straßenbelag soll denkmalgerecht aufgearbeitet werden. Die kriegens schon richtig gut da, die Oderberger. Man riecht förmlich, wieviel Geld da inzwischen sitzt.
Auf dem Flohmarkt am Mauerpark erwische ich eine regenfreie halbe Stunde, muß mir schon viel Mühe geben, nicht in eine der vielen Riesenpfützen zu treten, bleibe bei 3 Ständen stehen, wo es künstlerische Berlinfotos zu gucken gibt. Die gefallen mir aber alle nicht wirklich. Ob ich mich da mit ein paar meiner Bilder mal hinstellen sollte? Ich würde es wahrscheinlich nicht lange aushalten zuzugucken, wie die Leute ohne wirkliches Interesse meine Ständer durchblättern und wortlos weiterziehen. Wie das eben so läuft auf den Märkten. Und wenn jemand doch Interesse hat, dann muß allein schon aus sportlichen Ambitionen jeder noch so niedrige Preis weiter gedrückt werden.
Nee, das wär’s nicht. Zugleich sähe ich als Besucher gern viel mehr solcher Stände dort.
Mit der Tram fahre ich zur Warschauer Straße und von dort noch einmal zum Ostkreuz, schlendere ein paar Minuten auf dem Ringbahnsteig rum im Versuch, Leute unter den gewaltigen Wolkengebilden zu photographieren. Das wird aber nix. Hab nicht mehr die Geduld. Und die Kontraste sind zu heftig. Und mein Zug fährt bald.

Vom Bauen und Planen

Es begab sich aber mitten zur Urlaubszeit, daß Scharen ausgesandt wurden Schilder zu verteilen, auf denen geschrieben stand, daß Parkverbot herrschen solle vom kommenden Tage an. Dies aber sollte geschehen gar überall, wo irgend möglich denkbar und in Geismar.
Als aber an obriger Stelle bemerkt wurde, daß es wohl an der Zeit des Urlaubs lag, daß so viele nicht das plötzliche Parkverbot vor ihren Häusern beachteten, kam die Obrigkeit mit sich überein, Schreiben zu verfassen und an die Untertanen im Lande (hier Geismar) zu versenden.
Und es geschah allso:

 

Göttingen, der Oberbürgermeister
FD Stadtordnungsdienst
Fachbereich Ordnung
Auskunft erteilt: Herr D und Frau C
Zimmer: 1234
Telefon etc

An Herrn Grapf (Name geändert)

Amtliches Kennzeichen: GÖ-AB 123

Sehr geehrte Verkehrsteilnehmerin,
sehr geehrter Verkehrsteilnehmer,

nach meinen Feststellungen war Ihr Fahrzeug in Göttingen,Am Rischen in einem am 22.07.2009 errichteten Haltverbotsbereich für eine Baustelle oder einen Umzug geparkt.
Dieses Halteverbot wird erst mit dem Tage der Maßnahme wirksam.

Ich bitte Sie daher, dieses Fahrzeug bis Beginn am:
27.07.2009
zu entfernen.

Sollte sich das Fahrzeug bei Beginn der Maßnahme noch dort befinden, kann Ihr Fahrzeug kostenpflichtig abgeschleppt werden.

Mit freundlichem Gruß
Im Auftrag
C

 

Wenn nicht die Straßen in Geismar und speziell in unserer Wohngegend ohnehin in den letzten 3 Jahren schon über sehr lange Zeit aufgerissen gewesen wären. Und wenn nicht seit Monaten auch jetzt sowieso in der näheren Umgebung mehrere Großbaustellen zu Umwegen zwängen. Wenn fürderhin ihre durchlauchtige Stadtordnungsdienstigkeit es über sich gebracht hätte, die betroffenen Untertanen im Vorhinein von ihren baulichen Vorhaben in Kenntnis zu setzen.
Ja wenn!
Vielleicht könnte man dann mit einer großen Prise Humor versuchen drüber hinwegzusehen, wie da die Stadtverwaltung, vertreten durch ihren Fachordnungsdienst, meint mit den Untertanen umgehen zu sollen.
Da es aber nicht so ist, sondern stattdessen das Staubschlucken, Lärm ertragen und Umwege in Kauf nehmen schon über Gebühr lange als Alltag hingenommen werden muss, darum scheint nun ein Punkt erreicht, wo geharrnischter Protest einsetzen soll.

Meine Damen und Herren Obrigkeit: es reicht! Schluß jetzt mit diesem behördlich verzapften Unfug!

Leinestraße


Dieses Bild habe ich auch mit Poladroid behandelt, um diesen hübsch vignettierenden Rand und die nett häßliche Verfärbung hinzubekommen. Ginge auch anders. Klar. Geht aber auch so. Nur den Peudopapierrand, den hab ich jetzt mal abgeschnitten, weil der doch nur sinnlos Platz verbraucht.

Ein voller Frühlingstag

Mit Kind2 mache ich eine ausgedehnte Radtour einmal lang durch Göttingen, durchs untere Ostviertel in die Nordstadt, am Papenberg vorbei nach Weende. Fasziniert und ein wenig entsetzt begutachten wir die große Baustelle, die das ehemalige Isco-Gelände nun darstellt, und die Lärmschutzwände an der verbreiterten Lutter. Gruselig. Weiter geht’s an der Hennebergschule vorbei und durchs Weender Altdorf in den Klosterpark, wo Herr Hauschild mit der Sanierung der Klostergebäude begonnen hat. Schön ist das da überall.
Im Klosterpark hören wir einen Specht trommeln und entdecken ihn dann auch im Baum. Das finden wir beide ganz toll, wie schnell der seinen Kopf vor- und zurückbewegen kann… Ach und die Romantik in diesem Park geht offensichtlich auch an Kind2 nicht vorbei.
Wir fahren dann aus Weende raus, überqueren die Bahn und die B3 und machen den kleinen Bogen zur Adelebser Bahn und dieser schönen kleinen Eisenbahnbrücke, um von da an an der Leine lang zu fahren. Das ist zuerst ziemlich anstrengend weil matschig, im Groner Wald dann aber ok. Nur die Fahrräder werden ziemlich dreckig. Durch das Musa-Gelände und am Hagenweg vorbei gelangen wir in den Levinpark, gucken einen Moment lang den Enten zu und gondeln dann allmählich nach Hause, wo wir angenehm erledigt und sehr hungrig ankommen. Das war echt schön!
Die Mädels haben derweils mit den andern Kindern des Stichwegs auf dem Garagenhof gespielt und machen auch keine Anstalten damit aufzuhören. Als sie abends endlich heimkehren, waren sie 7 Stunden ununterbrochen draußen!
Kind2 und ich essen Mittag und putzen dann unsere Fahrräder.
Ja, Frühling. Mehr davon, bitte!