Inszenierte Wirklichkeiten

Inszenierte Photos kennt man ja. Auf die Spitze treibt das zB Gregory Crewdson. So weit bin ich allein aus Budget-Gründen noch nie gegangen. Die Inszenierung von Bildern beginnt aber ja im Grunde schon, wenn man auf der Lauer liegt und erst bei Erreichen einer bestimmten Situation auf den Auslöser drückt: wenn die Sonne endlich tief genug steht und die richtigen Schatten wirft oder wenn das Photomodell endlich die richtige Pose und den gewünschten Blick gefunden hat.
Gehen wir noch einen Schritt weiter. Stellen wir uns vor, wir sind im Urlaub, suchen einen Ort auf, den wir bereits im letzten Jahr photographiert haben. Das wollen wir diesmal wieder tun. Wir wollen eine bestimmte Situation erneut ins Bild bringen. Und natürlich soll es diesmal besser werden.
Von hier an wird das spätestens, wenn alle beteiligten Kinder, Ehefrauen und vorbeilaufenden Schafe mitmachen, mehr als nur ein erneut inszeniertes Bild. Es ist das Erleben an sich und damit die Wirklichkeit, die gar nicht mehr sie selbst ist / sein darf. Es ist die Wirklichkeit, die wir selbst inszenieren, um ein Bild aus ihr zu machen. Später werden wir das Bild zeigen und sagen: „so war es da“.
Jetzt können wir sogar sagen: „So wollten wir, daß es da sei. Und siehe: es war wurde genau so.“
Ist das der Fortschritt Marke Wir machen es, weil wir es können? Oder haben wir hier schon umgeschaltet auf wahnsinnige Geschwindigkeit und bewegen uns auf den letzten Abgrund am Rande der Realität zu? Was wird dahinter sein?

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. Ulrich

    Nun ja, wie bei Spaceballs treten wir bei wahnsinniger Geschwindigkeit hoffentlich noch rechtzeitig auf die Bremse ;-) Dein Beitrag ist ein interessanter Denkanstoß. Wir waren z.B. mehrfach hintereinander an einem Ort in Dänemark, wo ein Leuchtturm schon vor Jahren von einer Wanderdüne außer Betrieb gesetzt wurde und es ist interessant, jedes Mal aufs Neue zu sehen, wie sich alles verändert. Das selbe gilt, finde ich, auch, wenn man sich an andere Orte begibt, wo sich die Dinge vielleicht nicht so schnell und offensichtlich ändern. Ich würde erst von einem inszenierten Bild sprechen, wenn man außer dem erneut irgendwo sein noch viel mehr zum entstehen eines Moments beiträgt…

  2. grapf

    Es war mehr als nur die veränderte Umgebung: die hatte sich nämlich kaum verändert. Lediglich das Wetter. Aber wir. Wir machten nämlich plötzlich Actionphotos, die dort im Jahr zuvor noch ohne Absicht spontan entstanden waren, nun ganz gezielt und um sie eben besser hinzukriegen als letztes Jahr. Und alle machten bewußt mit, während im Jahr zuvor noch alle außer mir einfach nur erfreut dort rumsprangen.
    Das meine ich mit der Inszenierung unseres Erlebnisses dort.

  3. portyqui

    Urlaubsbilder nachstellen ist blöd. :)

    Bei Naturfotografie, dokumentarischen Aufnahmen und Motiven ist das OK bzw. ein Muss.

    Für die Werbung oder ähnlichem ist das ebenfalls Muss(?)! Oder nicht? Schließlich soll die heile Familienwelt je genau so aussehen!

    Aber einen früheren Schnappschuss nachstellen geht nicht und würde ich persönlich* auch nur ungern machen. Denn eine Szene wird nie wieder so ausehen, wie man sie beim ersten Mal gesehen hat, als man sie unbedingt auf Film bannen wollte.

    Ich habe ein paar Aufnahmen gemacht die von den Umständen her nicht so gut waren – aber ihr Inhalt ist unwiederbringlich. Daher würde ich sagen, dass euere Aufnahme, die ihr besser machen wolltet, nie besser werden kann/konnte. Oder willst du mir widersprechen?

    Allerdings habe ich vor einiger Zeit ein Motiv gesehen, dass ich nicht fotografieren konnte. Es war aber ein besonderes Motiv, und seit dem versuche ich es „gewollt“, gestellt?, gefaked?, aufzunehmen.

    Selbst ich könnte viele Aufnahmen, auch unter gleichen Bedingungen nicht noch einmal machen. Mir schwebt da so ein Kandidat vor: kommt als nächstes in meiner Gallerie. Können wir ja da ausdiskutieren (auch bezüglich deines „Photographieren – wie weiter?“ Beitrages).

    Es stellt sich jedoch auch die Frage, ob nicht auch eine rauchende Frau, die man aus einem bestimmten Winkel so fotografiert, dass ein Schild zum Rauchabzugsauslöser hinter ihr lesbar wird iszeniert ist?! Ja oder nein?

    Nur am Rande …

    * = „ich persönlich“: Warum eigentlich? Warum sagen wir/viele/die meißten diese beiden Wörter in einem Zuge? Es ist Blödsinn! Wenn ich etwas denke, dann muss ich persönlich das nicht noch mit einem „Füllwort“ betonen.

    Ich zwinge mich seit langem dieses Füllwort wegzulassen und es klapp (fast) immer. :)

    -porty

  4. grapf

    Lieber Herr Portyqui, es geht mir hier gar nicht in erster Linie darum, ob ein wiederholt gemachtes Bild besser werden kann (wird es fast nie, versuchen tut man es aber trotzdem immer mal wieder!), sondern darum, wie sich die erlebte Wirklichkeit dadurch verändert, daß wir sie photographieren. Oder sogar eben diesen Schritt weiter: wie man Wirklichkeit schafft, indem man sie photographiert.
    Ähnliche Phänomene werden im Grenzbereich Physik/Philosophie beschrieben, wenn es darum geht, das Verhalten von Elementarteilchen zu beobachten: dieses ändert sich nämlich durch unser Zugucken. Was u.a. bedeutet, daß es eine objektive Beobachtung und Beschreibung elementarer Vorgänge nicht geben kann, weil man sie sich nicht objektiv angucken kann. Der Zuschauer wird zwangsläufig zum Beteiligten am Geschehen und beeinflußt es dadurch.

  5. portyqui

    Was war es denn in deinem Fall für ein Bild?

    Ich würde sagen die rauchende Frau ist so inszeniert.

    Das Ganze sollte man sicher feiner abstufen. Denn „Akte Ost-X“ von letztens war ein Kunstgriff, den man so nicht als Inszenierung (wie du es parametrisiert hast) einordnen sollte (was es wohl nur sein würde, wenn es nur zwei Möglichkeiten gäbe).

    Auch wenn ich euere Szene, die ihr nachgestellt habt, nicht kenne würde ich, nach dem wie du es beschreibst, nicht sagen, dass es inzeniert ist. Denn es gab schon mal.

    Wenn ich mir die Bilder von Gregory Crewdson anschaue, sieht es inszeniert aus. Aber einige Bilder, so gestellt ie aussehen, haben sicher eine Botschaft die indirekt vermittelt wird. Somit ist es in dem Fall auch nur eine Technik, wie bei Schriftstellern oder Musikern auch. Oder nicht?

    Letztendlich ist es auch eine Sache des Standpunkts/der Sicht.

    Viellleicht können wir und ja mal in einem Chat treffen und über die Bilder von Gregory Crewdson diskutieren. Jeder versucht das Bild zu interpretieren. Am Ende müsste man daraus ja ableiten können, ob es sich um eine Inszenierung handelt. Hm!?

    Ich muss auch noch sagen, dass dein Beitrag nicht ganz eindeutig war. Denn in deiner Geschichte geht es ja um Wiederholung um es besser zu machen, obwohl du mit Gregory Crewdson hast. Ich hab dann beides Gemischt.

    Und in der zweiten Zeile meinte ich „Wiederholung“ bei den dokumentarischen Bildern.

    -porty

  6. grapf

    Nein.
    Die rauchende Frau ist ein street-shot. Gesehen, abgedrückt. Das Schild hinter ihr war da. Ich habe es gesehen, aber nicht dahingerückt oder gewartet, bis sie davor stand.
    Aber darum geht es mir auch gar nicht.

    Bitte noch mal meine Anmerkung Nr. 4 lesen :-)

  7. portyqui

    Es geht also ehr darum, dass mein Bild die Menschen verändert?

    Also, wenn ich nun (endlich) den Kern deiner Frage getroffen habe, sehe ich das so…

    Bilder sollen Menschen beeinflussen. Wie bei meinem obigen Beipiel mit der Werbung ist das ja Absicht. Wenn ich z.B. beabsichtige die Grausamkeit eines Krieges zu zeigen – gleichwohl ich sie zum Glück nicht kenne und erfassen kann – dann würde eine geschickt gewählte Perspektive, ein guter Schauspieler und gutes Make Up genügen.

    Es würde den Betrachter bewegen und vielleicht sogar dazu bestimmte (politische) Entscheidungen zu treffen.

    Nun war dies ein blödes Beispiel, da so etwas mit Photos von Kriegsberichterstattern authentischer geht. Aber war ja nur ein Beispiel.

    Oder du hast etwas noch viel einfacheres gemeint: Jemand macht ein Photo von einer Sache – so langweilig sie sein mag – und verbreitet es durch heutige Medien in Windeseile. Dann könnte dies andere Menschen dazu anregen sich damit zubeschäftigen oder sogar die Sache auch „nur“ zu fotografieren.

    Du meinst mit „Wir machen es, weil wir es können?“, dass jeder heutzutage mit einer Kamera rumrennt und immer den Finger auf dem Auslöser hat?

    Das hat durch die Digital-Kameras extrem zugenommen. Und mittlerwele läuft auch die Hälfte der „Knipser“ mit einer fetten Profi-SLR (mit Billig-Objektiv weils Geld nicht mehr gereicht hat) rum, die ihn/sie professioneller wirken lässt. *lach*

    Sag mir erstmal ob ich diesmal den Kern getroffen habe. :)

    -porty

  8. portyqui

    Wie muß ich gucken, was sollte ich wahrnehmen, um meinem Stil gerecht zu werden, um meine main topics zu bedienen, um eine meiner bevorzugten messages rüberzubringen?

    Anpassen ist blöde. Man verleumnet sich damit nur selber. Wenn ich fotografiere wie es anderen passt, bin ich, sind meine Bilder nicht mehr ich selbst.

    Keiner der großen Fotografen hat so fotografiert wie die Anderen die Welt gesehen haben oder als zu sehen wollten.

    Auch verändern sich die eigenen Bilder mit der Zeit. Sie sind somit ein Spiegel des Fotografen-Wesens. *umständlich* Wenn man so fotografiert wie es der Masse beliebt, bleiben die Bilder immer gleich. So wie die Musik von den Instant-Casting-Musik-Gruppen immer gleich klingt. Ein Titel OK, ein ganzes Album ist schon nicht mehr hörbar.

    …jetzt hab ichs… :)

    -porty

    1. grapf

      Nein, Herr portyqui, die Masse habe ich hier gar nicht im Blick. Es geht mir nicht darum, wie meine Bilder sich verändern, wenn ich an eine Zielgruppe denke – sondern wie die Realität sich verändert, wenn ich sie photographiere.

  9. birgit

    und wo ist jetzt das bild ?
    :)
    spaß beiseite, was erwartest du hinter der realität ? vielleicht ist es da ja sogar viel besser !
    vielleicht fehlt einem nur der mut, ich bin neugierig was da noch kommt. denn die grenze überschreiten wir bereits.

    1. grapf

      „Hinter der Realität?“
      In diesem Falle erwarte ich dort einen noch künstlicheren Zustand, etwas noch Entrückteres, Entfremdeteres als das, was wir aktuell real finden. Eine optimistische Erwartung ist das nicht, Neugier schließt es dennoch nicht aus…

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