(geschrieben 1981)
Der nunmehr beinahe legendäre John Meyer saß eines frostigen Abends auf einem nicht eben behaglichen Stuhl im rosa Salon seiner Land-WG. Obgleich er einen anstrengenden Tag hinter sich hatte und rechtschaffene Müdigkeit sich seiner bemächtigte, war es John Meyer nicht vergönnt, seinem Schlafbedürfnis nachzugeben. Denn für diesen Abend war eine außerordentliche Hausbesprechung anberaumt, bei der es vordringlich um die Bezahlung der WG-Kanone ging, welche auf dem Hofe sich befand und reger Nutzung nicht entbehrte. Sein Fehlen war nicht vorgesehen.

Schließlich hätte John Meyer jederzeit Gelegenheit gehabt, die WG-Kanone im vorgesehenen Rahmen mit zu nutzen. Daß er dieses Privileg aus bislang ungeklärten Gründen für sich ablehnte, entband ihn keineswegs von seiner Ratenfortzahlungspflicht. Wovon ihn Madame Charlotte direkt und unmißverständlich in Kenntnis setzte. So gehe das ja nicht! Also so gehe das ja nun wirklich nicht! Verdeutlichte Madame Charlotte. Wo man denn da hinkomme!

John Meyer unterlag leider ständig der Versuchung, sich der wuchtigen Frau völlig ausgeliefert und unterlegen zu fühlen. Natürlich versetzte ihn das immer in haltlose Wut, die jedoch fast nie eine nach außen hin sichtbare Äußerung fand. Er brachte es einfach nicht fertig Madame Charlotte zu sagen, was er von ihr hielt. Bei seinen anderen Mitbewohnern, vielleicht mit Ausnahme der Schwester, ging ihm das übrigens ähnlich. Und zu seinem Unglück schien es, daß Madame Charlotte mit ihrer unverblümt geäußerten Meinung auch noch Recht hatte. Doch wie so oft im Leben stieß auch hier die Wahrheit nicht gerade auf begeisterte Ohren.

Monsieur Audiberty und General of Wallisia a.D. – mit letzterem verbanden John Meyer besonders ungute Gefühle – mischten sich überflüssigerweise in die eigentlich schon beendete Debatte ein und ergriffen, wie nicht anders erwartet, für Madame Charlotte Partei. Die Jungfer Agneta schüttelte verständnisinnig den Kopf und murmelte steinalte Beschwörungsformeln vor sich hin.

John Meyer erwog den Gedanken, die WG-Kanone kurz vor seinem bereits festgelegten Abgang doch noch einmal in Gebrauch zu nehmen und sie auf die Mitglieder der WG selbst zu richten, was natürlich in der Benutzungsordnung nicht vorgesehen war. Doch er traute sich nicht so recht. Außerdem fiel ihm ein, daß er damit auch seiner Schwester unübersehbaren Schaden zufügen würde.
Während unser geplagter Held gerade über seinen Edelmut der Schwester gegenüber nachsann, kramte ebendiese aus ihrem Accessoires beinhaltenden Täschchen eine Dose Schnupfpulver hervor und pustete John eine kräftige Prise davon ins Gesicht.

Daraufhin erlag dieser einem nicht enden wollenden Nießanfall, Madame Charlotte lachte sich tot und wurde von der Jungfer Agneta sofort beiseite geschafft, General of Wallisia a.D. zuckte derart mit den Augenbrauen, daß ihm die Brille von der Nase direkt in den von der Beagelin Pauline vor ihn gesetzten Haufen fiel, während Prinzessin Mafalda das Gesicht mit den Händen bedeckte und laut Nein schrie und Monsieur Audiberty unter Absingen schmutziger Lieder, die so niemand je von ihm erwartet hätte, den Raum verließ.

Die Schwester hatte die Situation klar in der Hand und grinste breit und überlegen, wodurch sich ein leicht irrer Gesichtsausdruck ihrer bemächtigte. Kurze Zeit später räumte sie, einem vom Glück verfolgten Feldherrn gleich, das Schlachtfeld und kam an ihrem Schreibtisch zu sitzen, wo sie sich daran machte, den Vorfall ihrem Tagebuch anzuvertrauen. Als John Meyer sich von seinem Nießanfall erholt hatte, gesellte er sich zu ihr und fragte sie, was er denn nun machen solle.

Er könne doch Britt anrufen, schlug sie vor. Um sich von ihr trösten zu lassen.
Britt sei nicht erreichbar, seufzte John am Boden.
Dann müsse er sich eben etwas anderes einfallen lassen, versetzte die Schwester. Sie wolle jetzt allein sein.

John Meyer verließ geschlagen ihr Zimmer, bat Pauline ihn zu begleiten, schlug durchaus vernehmbar die Tür hinter sich zu und begab sich, eingepackt in seine dickste Winterkleidung, ins Freie. Unentschlossen klimperte er mit dem Autoschlüssel in seiner Manteltasche, rang sich jedoch durch, den Wagen stehen zu lassen. Draußen war es feucht und empfindlich kühl. Einsamkeit lag über den Dächern des Dorfes wie schwere Regenwolken. Der Hund verschwand sofort hinter einer Ecke und ging seiner eigenen Wege. John Meyer stiefelte die Straße hinab. Es herrschte Stille. Nichts zu hören außer den eigenen Schritten.
Jetzt sich vor ein Auto werfen, dachte er. Doch es kam keins.

Die Straße vor ihm schien mit Sinnlosigkeit gepflastert, Dunkelheit umbag ihn, eine mondlose Nacht. Seine Beine trugen ihn, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach. Er blieb liegen, mitten auf der Straße, im Dreck, und schnaufte.

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