Selbsthilfegruppe gesucht

Von jetzt an muß es wieder ohne gehen. Die facebook-App habe ich schon vor ein paar Tagen von meinem Handy gelöscht. Das hat kaum wehgetan. Und solange ich die Gemeinde auch im Browser nicht besucht habe, fehlte mir seltsamerweise gar nicht so viel.
Wenn man dann wirklich Ernst und Schluß macht, ist es natürlich der Hammer. So ähnlich wie mit Rauchen aufhören. Entzugsschmerzen zwischen den Ohren und im oberen Glied des rechten Zeigefingers. Vom immer wieder unvermutet auftretenden Daumenschmerz ganz zu schweigen.
Nun wird das Tagezählen losgehen. Nicht etwa, wieviele Tage noch bis Whynachten, sondern wieviele Tage schon ohne facebook.
Irgendjemand da draußen in vergleichbarer Notlage, mit dem ich das Leid teilen könnte?

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. fassbrause

    Mit guten Ratschlägen kann ich leider nicht dienen.
    Ich erinnere mich nur gerade an das Buch, was ich im Sommer gelesen habe, die Kindheitserinnerungen von Marion Gräfin Dönhoff. Die wuchs also vor gut 100 Jahren als Adelige auf dem Land auf; zu einer Zeit als es noch kein Radio gab, kein Fernsehen, Kino, kein Telefon, schon gar Internet, Handy oder irgendwelche Netzwerke. Bücher und Zeitungen als einziges Medium. Das Reisen war auch noch eine Besonderheit. Aber ansonsten lebten die völlig in ihrem eigenen Umfeld, mit der Familie, den Angestellten und den Nachbarn.
    Ich will hier keiner falschen Nostalgie das Wort reden, aber gelebt haben die auch, und ich hatte nicht den Eindruck, daß es ein unglücklicheres Leben als heute war.

  2. grapf

    Äh naja, daß all die Informationstechnik unser Leben nicht nur im positiven Sinne bereichert, ist für mich ganz unstrittig. Und daß eine Gräfin Dönhoff ohne all das vor 100 Jahren trotzdem gut leben konnte, glaube ich auch sofort.
    Aber galt das auch für die Bediensteten in ihrem Haus? Für das gemeine Volk in der Umgebung?
    Anders gefragt: warum fangen alle totalitären Regimes dieser Welt immer mit Kontrolle und unmittelbarer Beschneidung der Informationsmedien an?

    Aber facebook ist ja nicht in erster Linie Informationsmedium, sondern Community, Treffpunkt, die große Online-Bahnhofskneipe, wo man sinnvolle oder brauchbare nur zufällig mal aufschnappt, ansonsten aber vor lauter Grundrauschen kaum etwas versteht. Als User.
    Und was die Betreiber mit all den gespeicherten Informationen machen, entzieht sich genauerer Kenntnis und erst recht dem Einfluß der User. Das ist für mich der entscheidende Punkt.
    Und dann noch ein paar mehr…

  3. fassbrause

    Gut, ich will hier nicht das ganze Buch rezensieren – darum geht’s ja auch nicht – jedenfalls sprengt es doch die Klischeebilder, die man so im Kopf mit sich rumträgt. So wie sie es beschreibt war der Lebensstandard unabhängig von der sozialen Schicht allgemein eher gering. Und ebenso unabhängig von der Schichtzugehörigkeit lebte man auf dem Gut ein Miteinander, das die modernen ‚Online-Bahnhofskneipen‘ (schöner Begriff übrigens) gar nicht nötig hatte. Da war für mich der Anknüpfungspunkt.

  4. grapf

    Das Miteinander ohne elektrische Vermittlung gab es ja auch vor zehn, zwanzig Jahren noch völlig selbstverständlich. Auch wenn die familiäre Freizeitgestaltung schon etwas länger stark tv-geprägt ist. Aber heute kommunizieren die Jugendlichen in der Schule im Unterricht per facebook mit ihren Nachbarn – und in der Freizeit läuft nichts mehr ohne das soziale Netz.
    Diese ja irgendwie drastische Veränderung des Lebens geht so schnell vonstatten, daß wir sie selbst kaum noch nachvollziehen geschweige denn uns aktiv auf sie einstellen können. Man stolpert den Ereignissen hinterher.

  5. mactoken

    Und warum jetzt ohne facebook? Wegen Sucht und so? Ist das wirklich so? Ich bin da (noch) nicht aktiv. Sollte ich’s lieber lassen?

  6. grapf

    mactoken: Suchtgefahr unbedingt, viel zuviel vertane Zeit dort, vor allem aber viel zu viele Daten, die man von sich preisgibt, ohne je wieder die Kontrolle darüber erlangen zu können – und ohne einen adäquaten Gegenwert dafür zu erhalten.

  7. Ina

    „und ohne einen adäquaten Gegenwert dafür zu erhalten“

    … wenn es nur darum ginge, wäre bei den meisten das Internet wohl einen gut Teil der Zeit aus.

    Geht es nicht eher darum, zuviel Zeit irgendwie um die Ecke zu bringen?
    Es ist gar nicht sooo lange her, da ging alles ohne Internet.
    Man bekam auf eine Reise einen Tipp mit, wo die Pizza besonders gut schmeckt – und es war tatsächlich so. Wenn die Neuigkeiten wirklich wichtig waren, dann hat man sie auch erfahren. Per Telefon oder persönlich. Schlimme Dinge kamen meist mit schwarzem Rand auf dem Umschlag in den Briefkasten.

    Ich kommjetzt nicht drauf, wer es geschrieben hat und steh zu meiner kleinen Lücke, anstatt schnell Google zu benutzen.
    Es ging um langsames Reisen, damit … „die Seele mitkommt“.

    Ich habe bei Facebook & Co. selten das Gefühl, dass das alles in meinem Tempo passiert. Kaum habe ich irgendwo einen nichtssagenden Kommentar unter eine belanglose Statusmeldung gesetzt, schon gibt es eine Antwort, bei der ich mich verpflichtet fühle, etwas zu entgegnen, weil es sonst unhöflich wäre usw.

    Letztendlich eine amüsante Zeitverschwendung.
    Andererseits: ich wohne sowas von abseits von allem. Und irgendwie hat sich Facebook zu der Stelle im Internet entwickelt, an dem ich viele der Menschen, die mir am Herzen liegen, gesammelt habe. Deshalb werde ich dort auch bleiben – mit einer Handvoll Freunde – wo andere dann sagen „häää, du hast aber wenig Freunde“. Tja. Aber ich kann sie alle aufzählen, ohne einen zu vergessen :-).

    Und manche treiben sich dann wieder woanders rum. Ich könnte jetzt sagen, deshalb bin ich auch in dieser und jener Community, aber das wär geflunkert.
    Ich hab einfach auch immer noch zuviel Zeit. Und die geh ich jetzt draußen rumkriegen. Mit Kamera im Nebel.

  8. grapf

    Über langsames Reisen denke ich auch immer wieder nach und stelle gelegentlich fest, daß es mir sogar mit dem Fahrrad zu schnell geht.
    Während das Internet ja sogar Flugreisen noch in den Schatten stellt, wenn man sich per google-Streetview oder -earth die andere Seite der Welt im Tiefflug am Monitor angucken kann und dabei einen erschreckend realistischen Eindruck davon bekommt.
    Und die Seele? Bleibt sie dabei auf der Strecke oder ist sie schon vorher ausgestiegen?
    Das Tempo in den „sozialen Netzwerken“ geht ähnlich. Mit wenigen Klicks hat man sich einen Haufen Freunde zusammengeklickt, genauso schnell ist man sie auch alle wieder los. Und dazwischen – war da wirklich was? Bedeutet es was, am allgemeinen Grundrauschen teilzunehmen, Tagesausscheidungen irgendwelcher Leute aufzunehmen und mit eigenem Senf zu garnieren, abends vor dem Schlafen noch „Gute Nacht, liebes Internet“ zu posten und morgens als erstes ein „Guten Morgen, Welt!“?
    Die Einsamkeit, die facebook zu überwinden scheint, begründet es selbst ganz neu. Scheint mir.

  9. mactoken

    Danke für die Gedanken! Dass möglicherweise das meiste an Facebook-Beiträgen belanglos ist und dass letztendlich nichts oder nur sehr wenig darüber hinaus führt, das macht mich nachdenklich. Ist mir zwar auch schon aufgefallen, aber ich dachte immer: Wenn ich erstmal richtig dabei bin, dann ändert sich das. Dann komme ich richtig in Kontakt mit den Leuten, dann tausche ich mich auch über Wesentliches aus. Aber wenn das nicht so ist… dann lohnt sich das ganze online-netzwerken nicht.
    Was ist denn jetzt die Alternative zum Online-Social-Network? Offenbar weckt Facebook ja ein Bedürfnis, das anderswo nicht mehr so recht gestillt werden kann. Freunde treffen, sich austauschen, so was. Sollte man sich doch wieder „in real life“ verabreden? Aber da haben ja alle keine Zeit mehr dafür.

  10. grapf

    mactoken, tauscht man sich denn in der Öffentlichkeit, wo jeder mithören und zugucken kann, über „wesentliches“ aus?
    Man kann natürlich in fb oder anderen Netzsystemen auch persönliche Nachrichten verschicken, die dann nur der Empfänger lesen kann – und der Betreiber des Netzsystems… – da würde ich dann aber die normale Mail oder das persönliche Gespräch in jedem Fall bevorzugen. Denn facebook speichert, wie wir wissen, alles auf unabsehbare Zeit.
    Treffen im real life muß man oft etwas länger und aufwendiger vorbereiten, dafür kommt dann aber eigentlich immer wesentlich mehr bei rum. Aber geht eben nicht immer. Und das schöne an Mails ist, daß man sie beantworten kann, wann es paßt. Ergänzt sich prima, finde ich. Und ist eigentlich genug.

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