Verwässerter Sonntag

Angekündigt waren Gewitter und Schauer.
Mit Blitz und Donner hielt es sich dann ja doch sehr in Grenzen. Aber geregnet hat es am Sonntag in Berlin offenbar doch so viel, daß einiges dabei kaputt ging. Es begann damit, daß ich aus einer Dose Sprite trinkend die Kastanienallee entlang spazierte. Gut, macht man ja auch nicht. Aber zum Mittagsdöner brauchte ich einfach dringend Flüssigkeit. Apfelschorle gab’s nicht und nur Mineralwasser war mir zu geschmacksarm. Naja und Flaschen werden in Imbissen sowieso nicht verkauft.

So kam es, daß ich die erst halb ausgetrunkene Dose in meine Jackentasche stellte, weil Leute mich ansprachen, ob ich ihnen nicht ein 2-Euro-Stück zum Telefonieren kleinwechseln könne. Ein Wunsch, der so selten nur noch zu hören ist, daß ich ihn unmöglich hätte abschlagen können.
Mein Kleingeld reichte sogar, ich konnte zwei Leute so einfach glücklich machen.
Dann gingen wir weiter, ich insbesondere in die Knie, um in der Oderberger Straße eine vom letzten Schauer übrig gebliebene Pfütze zu photographieren, in der sich so nett die schönen P’berger Fassaden spiegelten.
Wenige Meter weiter sagte ich mehrmals laut und deutlich „Sch**ße“! Da tropfte etwas von meiner Jacke auf meine Hose. Erst dachte ich, ich hätte mich zu tief in die Pfütze gehängt. Aber nein, es war die Spritedose.

Abends fuhren wir zurück nach Hause. Auf dem Ostbahnhof war der Bär los. Und es war gut feucht. Im östlichen Zubringertunnel kam ein kleiner Wasserfall nieder (Photo im Berlin.Blog), auf der gesamten Breite des Tunnels. Es platschte so richtig. Die meisten angehenden Beförderungsfälle blieben verschreckt davor stehen, wurden jäh der Abwesenheit jeglicher Schaffner oder anderer Autoritätspersonen gewahr und gaben Sätze von sich, die fast alle klangen wie: „dat jibt’s ja nich!“ oder „Dit kann ja wohl nich wahr sein!“ und ähnlich. „Un wat machenwa nu?“
Die einen machten auf dem Absatz kehrt und nutzten vermutlich einen anderen Tunnel. Andere faßten sich ein Herz, zogen sich Jacke oder Kapuze über oder spannten den Schirm auf und patschten durch, von oben bepladdert, unten mit den Schuhen in die inzwischen ziemlich große Pfütze. Einer hockte sich daneben und photographierte und feixte sich eins…

Später auf dem Bahnsteig standen wir und hatten schon so ein mulmiges Gefühl. Die meisten Züge waren mit abenteuerlichen Verspätungszeiten angekündigt. 50 Minuten, 60 Minuten. Da lacht das Herz. Zu unserm Zug, ICE nach FFM, wurde gar nichts gesagt. Auch eine Viertelstunde nach planmäßiger Abfahrt noch nicht. Stattdessen ertönte in etwa 43sekündigem Abstand die immer gleiche synthetische Ansage, daß der Regionalexpress nach Belzig über Potsdam Rehbrücke heute über Lichtenberg umgeleitet werde und „Reisende in Richtung Lichtenberg nehmen bitte die S-Bahn auf Gleis 11 und steigen dort um!“ oder so ähnlich.
Das Beachtliche war die Beharrlichkeit, mit der diese zunehmend belangloser wirkende Information wiederholt wurde, immer wieder, und damit zur Farce, ja zur Satire verkam, während über das, was existentiell zu werden drohte, nichts aber auch gar nichts in Erfahrung zu bringen war.
Vor dem Häuschen, in dem sich die Bahnaufseher und BahnauskunftsbeamtInnen verschanzten, hatte sich eine eindrucksvolle Menschentraube gebildet. Alle wollten naheliegenderweise dasselbe. Wissen, wann bzw ob überhaupt ihr Zug führe.
Ich kauerte auf dem Boden, unter mir mein Türkenkoffer, hinter mir eine kühle glatte Wand, und vertilgte meinen Reiseproviant. Mir war kühl, später dann auch kalt und ein dringendes Bedürfnis wurde beständig dringender und unangenehmer. Eine junge Frau, die neben mir auf dem Boden hockte, schrie plötzlich auf, nachdem unser Zug dann doch angekündigt war, als 60 Minuten verspätet, die 60 Minuten aber schon um waren: „Ja, hatten wir schonn!“ rief sie und dann, mit einem sehr verzweifelten Unterton: „Ich will nach Hause!“ Es gellte durch die große Halle und schien für einen kurzen Moment alle anderen Geräusche zum Verstummen zu bringen.

Gerüchte liefen um, es habe einen zentralen Rechnerausfall gegeben, möglicherweise wegen eines Wassereinbruchs.
Im Zug teilte man dann kühl mit, die DB-AG erstatte allen Fahrgästen für die entstandenen Unannehmlichkeiten 20 Prozent des Fahrpreises. Gutscheine würden verteilt. Allerdings gab es nicht genug Gutscheine.
Diese 20 Prozent Entschädigung wurden nicht etwa ausbezahlt, sondern mit der Fahrkarte durfte ich in Göttingen an den Schalter, mir dort einen Antrag auf die Erstattung geben lassen, den ich dann zuhause ausfüllen und an die DB-AG schicken soll, damit die mir dann einen Gutschein schickt. Für letztlich umgerechnet 7 Euro fuffzich. Wenn nichts dazwischen kommt.
Soviel zum satirischen Aspekt.

Als Fazit bleibt festzuhalten, daß ich letztlich mit nur 60 Minuten Verspätung nach Hause kam, am Sonntag Abend, daß ich im Zug bequem und ungestört saß, träumen konnte und es mir gut gehen ließ. Und trocken blieb ich auch, obwohl es im Berliner Ostbahnhof während eines der diversen Schauer tatsächlich auch noch durchs Bahnsteigdach regnete.

(Nur, um den feixenden Autofahrern und berufsmäßigen Bahnhassern mal gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn in dreieinhalb Stunden von Berlin nach Göttingen, um diese Zeit, das dürfte mit dem Auto nur in seltenen Glücksfällen gelingen.)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. tobyyy

    Schön zusammengefasst! :-)

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