Heute vor 15 Jahren

schüttelte ich noch den Kopf über die Ereignisse entlang der Mauer. Ich wollte das nicht wahrhaben, daß es die Ossis im Ernst alle nur nach Westen zu drängen schien. Nachts saß ich in meinem Taxi, als ein Rudel öttelnder Trabbis frech die Fußgängerzone durchquerte, uns Taxifahrer als einzige Ansprechpartner ausmachte und uns ganz ohne Umschweife fragte, wo es denn nu das Begrüßüngsgeld gäbe.
Gott, man war gerührt, irgendwie.
Aber auch peinlich berührt. Das irgendwie auch, ja.
Und in ganz eigenartiger Weise hilflos.
Da waren diese Leute, die dann sehr schnell erstmal ihren ollen Gebrauchtwagen drüben für Phantasiepreise verhökerten und zuhause damit prahlten. So eine Art Goldgräberstimmung: drüben gab’s was zu holen. Schnell hin, ne Scheibe abschneiden vom Kuchen.
Ich hätte das nicht fertig gebracht.
Übrigens hätte ich auch nie nimmer nich gedacht, daß in so aberwitziger Geschwindigkeit dieses Ausmaß an Geschichtsklitterung zu leisten wäre – wie der Herr Dokter Kohl es dann aber doch leistete. Gemeinsam mit seinem wendigen Architekten Genscher und dieser Horde von wildgewordenen Einheizfanatikern.

Wir unternahmen irgendwann in diesem Winter mit unserm R4 einmal eine Expedition nach drüben, durch Dörfer, deren Namen wir nicht kannten, obwohl wir nur knapp 30 km entfernt wohnten, konnten nicht fassen, in welchem baulichen Zustand sich Straßen und Häuser befanden, noch weniger aber, daß in den Dörfern alles mit Girlanden behängt war, auf denen Sätze wie “Herzlich willkommen, Nachbarn!” standen. Und überall winkende Menschen in einer Kulisse, die an Nachkriegsfilme erinnerte.
Im Hinterkopf hatten wir noch das nerfige Prozedere am Grenzübergang Marienborn oder Dreilinden, Transit Berlin und zurück – und mochten noch nicht recht glauben, daß es nicht irgendein böses Erwachen gäbe, daß jemand meinen abgelaufenen Pass bemängeln oder unsern Kofferraum durchsuchen wollen könnte.
In Heiligenstadt stiegen wir aus und liefen durch die Straßen. Es roch nach Trabbis und nach Braunkohle. Sehr fremdartig. Sehr faszinierend, auch die Farben, Schriften und was da geschrieben stand, was in den Schaufenstern zu sehen und was dort nicht zu sehen war.
Die Leute sprachen eine andere Sprache als wir.
Zum Abschluß fuhren wir auf einen Hügel, um uns von dort aus die Schlange vorm Grenzübergang Teistungen anzusehen. Einige Festkilometer Trabbis. Der Geruch ihrer Abgase hing meilenweit so schwer in der Luft, daß man ganz high davon wurde.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. kinky

    Dieses Gefühl, wie aus „drüben“ plötzlich ein Teil der eigenen Stadt wird, habe ich als sehr großes Gefühlswirrwarr in Erinnerung. Einerseits die Freude auf das aufregende Neue, andererseits die Abneigung gegen das unbekannte Neue. Zumal man als eingebildeter Berliner nun plötzlich „Wessi“ sein sollte, weil es doch nun die „Ossis“ gab, die „Wessis“ doch aber eigentlich die Westdeutschen waren und wir die Berliner. Puh, war das konfus.

  2. dark*

    Ja, es war aufregend damals. Ich ging zur Abenschule, bekam es daher erst in den Spätnachrichten mit und meine Vaterlandsliebe drohte vor Ergreifung überzufließen. Ernüchterung stellte sich verhältnismäßig schnell ein, als die Hamburger Innenstandt von parkenden Trabbis lahmgelegt wurde. Selbstverständlich bekamen sie keine Knöllchen während man selbst für sein Kunstparkdarbietungen hohe Startgelder zu entrichten hatte. Nicht nur Obst und Gemüse, auch Damenunterwäsche waren heißbegehrt und demzufolge in der Folgezeit für Westverhältnisse schwer zu kriegen. Unglücklicherweise beeinflusste dieses Ereignis unseren Geschichtsunterricht sehr nachhaltig, in den nächsten Wochen und Monaten wurden nur noch diverse Mauern und Diktaturen besprochen.

    Mein erster visueller Eindruck von der ehemaligen DDR ist grau, grau und nochmals grau. Gewinnen durfte ich diesen, als ich 1991 nach unzähligen Schlaglöchern endlich in Merseburg angekommen war. Nein, dort hätte ich nicht leben wollen.

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    Schön, wie du einige deiner Eindrücke geschildert hast, der Text gefällt mir.

  3. kopfherz

    SIE waren wenigstens hier.
    ich wohnte in berlin, war aber damals gerade in indonesien unterwegs. als die ersten traveller von der geöffneten mauer erzählten, dachten meine freundin und ich: „meine güte, haben die was schlechtes eingenommen“.
    dann die ersten fernsehbilder – wir konnten es nicht glauben und lagen uns weinend in den armen.
    zurück in berlin (im dezember) holte uns k.s mutter vom flieger ab. ihr kommentar, schmallippig: klopapier gibt es keins mehr, und auch keine bananen!

  4. grapf

    Stimmt, die Bananenknappheit war lange gut für einen Witz.
    Das einzige, was mir aber wirklich unangenehm auffiel, war der Fahrstil unserer neuen Nachbarn. Im Eichsfeld wurde damals und wird noch heute viel zu tief geflogen.

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